Tönnies

Tönnies
Tọ̈nnies
 
[-niəs], Ferdinand, Soziologe und Philosoph, * Riep (heute zu Oldenswort, Kreis Nordfriesland) 26. 7. 1855, ✝ Kiel 11. 4. 1936; ab 1909 Professor in Kiel, zunächst für wirtschaftliche Staatswissenschaften (bis 1916), ab 1920 für Soziologie; 1909 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (deren Präsident 1922-33). Tönnies war einerseits Hobbes-Forscher (Manuskriptfunde, Editionen), andererseits einer (neben M. Weber und G. Simmel) der Begründer einer eigenständigen Soziologie in Deutschland. Sowohl unter dem Einfluss der deutschen Philosophie (I. Kant, A. Schopenhauer) als auch der Gesellschaftstheoretiker und -historiker des 19. Jahrhunderts (u. a. L. H. Morgan, J. J. Bachofen) erarbeitete Tönnies für die Soziologie eigene Arbeitsbereiche und eine eigene wissenschaftliche Gliederung und Systematik mit einer eigenständigen Begrifflichkeit. Weil er dabei u. a. auf Begriffe der deutschen Kulturkritik zurückgriff, brachte ihn das unfreiwillig in die Nähe spezifisch deutsch-nationaler Ideologien. Tönnies war Mitglied der SPD und verlor aufgrund seiner entschiedenen Ablehnung des Nationalsozialismus nach 1933 seine Professur.
 
Im Zentrum der Soziologie stehen bei Tönnies die beiden als »Wesenheiten« bestimmten Gesellungsformen »Gemeinschaft« und »Gesellschaft«. Der erste Begriff zielt auf Vergesellschaftungsformen wie Familie, Freundschaft und Nachbarschaft, in denen die sozialen Bindungen um ihrer selbst willen bestehen. In der »Gesellschaft« hingegen (die in Tönnies' historisierender Darstellung die Grundform der »Gemeinschaft« verdrängt und abgelöst hat) herrschen Tönnies zufolge Egoismus, Zweckrationalität und Nutzenkalkül als Ausdruck eines lediglich aus dem Denken geborenen »Kürwillens«. Tönnies' Vorstellungen zielten auf eine Überwindung dieses Zustandes durch die Stärkung gemeinschaftlicher Elemente, was er sich von einem genossenschaftlich organisierten Sozialismus erhoffte.
 
Werke: Gemeinschaft und Gesellschaft (1887); Hobbes Leben und Lehre (1896); Die Entwicklung der sozialen Frage (1907); Die Sitte (1909); Marx. Leben und Lehre (1921); Kritik der öffentlichen Meinung (1922); Soziologische Studien und Kritiken, 3 Bände (1925-29); Einführung in die Soziologie (1931).
 
 
Hundert Jahre »Gemeinschaft u. Gesellschaft«. F. T. in der internat. Diskussion, hg. v. L. Clausen u. C. Schlüter (1991);
 P. U. Merz-Benz: Tiefsinn u. Scharfsinn. F. T.'s begriffl. Konstitution der Sozialwelt (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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